everything is a remix in der whitebox, München 02.07.-07.08.2016
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Seit dem Aufkommen neuer digitaler Medien in den 1990er Jahren sind die Formen der teilweisen Aneignung historischer Vorläufer so vielfältig wie das Überdenken vorhandener Urheberrechtsgesetze notwendig ist. Eine regelrechte Flut von Remixes – also Mischungen von Altem mit Neuem – verschiedener Modi durchzieht alle kulturellen Bereiche. Die uns umgebendene Digitalität wirkt wie ein Verstärker. So genannte “Prosumer” browsen – gleichzeitig produzierend wie konsumierend – durch das allzeit offene Archiv der digitalen Welt, um Bilder, Worte und Klänge – und auch Techniken – per ‘Copy-Paste’/’Drag-Drop’ zu sampeln und in einem Mashup oder Remix ganz nach Belieben zu verändern. Solche Appropriationen sind natürlich auch innerhalb der sozialen Medien des Internets ein alltägliches Phänomen. Die neue “Generation Remix”, die nicht nur die Stufen der Musik, der Literatur, des Tanzes und des Films sondern auch die der Bildenden Kunst erklommen hat, provoziert kontroverse Debatten nach dem Wert von geistigem Eigentum, dem Grad der Schöpfungsleistung, uvm. Die Ausstellung will keine Antworten auf in dieser Debatte aufkommende Fragen vorgeben, sondern regt die/den Rezipientin/*en an, über eigene Positionen nachzudenken und die Welt des digitalen Remixes zu erleben.
Die Ausstellung präsentiert Arbeiten der Digitalen Kunst, die das Feld der Möglichkeiten kreativer Aneignung, Entfremdung und Zweitverwertung ausloten und thematisieren.
Die 1-Kanal-Videoinstallation “Refait” (frz. für Nachmachen) des Künstlerkollektivs “Pied la biche” ist mit seiner Liebe zum Detail ein herausragendes Beispiel aus dem Subgenre des reenactment. Kasumis 1-Kanal-Videoinstallation “Shockwaves” aus dem Bereich des sogenannten Found-Footage besteht aus über 25.000 gefundenen Filmsequenzen, manche nur ein Bruchteil einer Sekunde lang, die neu zusammengefügt eine tragische Geschichte erzählen. Die 3-Kanal-Softwarekunstinstallation “Shell Performance” von Martin Reiche besteht aus einem Programm, dass unabhängig auf drei verschiedenen Computern läuft und konstant Daten von drei in Ghana auf einem Elektronikschrottplatz gefundener Festplatten ausliest und diese künstlerisch verändert wieder gibt. “Tears in Rain” von Jeron Cluckers nutzt in einer 1-Kanal-Videoinstallation den immer währenden Regen des Filmes “Blade Runner von Ridley Scott”. Die fallenden Tropfen und die Technik des datamoshing, einer Technik bei der Videodatein bewusst manipuliert ja sogar zerstört werden, erzeugen eine neue Ästhetik der ursprünglichen Bilder. In der 1-Kanal-Soundinstallation “Are you ready to satisfy your girl tonight” komponiert Daniela Müller aus dem täglichen Datenschrott von Spam-Mails eine beeindruckende Sprachkollage. Deniz Derbent und Ufuk Baris Mutlu nutzen für das Tryptichon “Fenakistiskop: Istanbul” eine Animationstechnik aus dem Jahre 1800 und machen daraus kinetische Installationsobjekte. “Refrakt” von Carla Streckwall und Alexander Govoni ist eine App, mit der beim Abscannen von Bildern remixes dieser auf dem Smartphone entstehen. Die 3-Kanal-Videoinstallation “My Mind keeps Wandering” von Stephanie Maier ist eine weitere Found-Footage-Arbeit in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nebeneinander dargestellt werden. Die interaktive audiovisuelle Installation “Translation” von Stefano D’Alessio und Martina Menegon filmt den Raum und wandelt diesen Videostream in einen Audiostream um. Über einen Lautsprecher wird dieser anschließend ausgegeben und mit hinzukommenden Geräuschen des Raumes geremixed um schlussendlich zurück in einen Videostream gewandelt zu werden. Nehmen Sie mit Bewegungen und Geräuschen Einfluss und werden Sie Teil dieses Kunstwerks!
In der Live-Cinema Performance “Intruders“ von A-li-ce werden mehr als 2000 Audio- und Videosamples Live auf der Bühne zu einem “Film” der vom Kollektiven Gedächtnis handelt zusammengesetzt. Um diese Performance zu realisieren wurden 4000 Filme und mehr als 26 Stunden Videomaterial verarbeitet. Die Performance entstand in Zusammenarbeit mit dem Französischem Archiv CICLIC. Das Team Becker Pinter richtet ein “Temporäres Atelier” in der whiteBOX ein und kreiert in einem offenen Arbeitsprozess live vor Publikum ihre neue Bilder-Serie „Queen of the Selfies“ in dem der “Remix” des Motivs eine zentrale Rolle spielt.
Der Film “Remake, Remix Ripp-Off” von Cem Kaya: Die Türkei war in den 60er und 70er Jahren eine der größten Filmproduzenten der Welt. Die türkische Filmindustrie “Yeşilçam” indes war sowohl finanziell als auch strukturell instabil. Begünstigt durch laxe Urheberrechtsgesetze – produzierte Yeşilçam Remakes von europäischen, amerikanischen und indischen Filmen, benutzte ihre Soundtracks und sogar Filmfootage, wie Special Effects Szenen, die es selbst nicht herstellen konnte. Somit waren die Filmemacher Yeşilçams Vorreiter in Sachen Patchworking und Sampling.